Welt

Die ganze Welt auf zwei Inseln

Ein Roadtrip durch die spektakulären Landschaften Neuseelands

„Es regnet“, rufe ich ungläubig und schalte den Scheibenwischer ein. Ein paar Mal kratzt er über die wenigen Tropfen auf der staubigen Scheibe, dann muss ich ihn wieder ausstellen. Das bisschen Nieselregen an diesem Nachmittag soll der einzige Niederschlag bleiben, den wir im Januar 2020 in Neuseeland abbekommen. Nicht, dass es in dem Monat auf den Inseln nicht regnet, nur eben nie da, wo wir gerade sind. Den Scheibenwischer habe ich dennoch in den ersten Tagen eifrig betätigt, allerdings bloß versehentlich, weil der Hebel sich dort befindet, wo an meinem Auto in Deutschland der Blinker sitzt.

Aber beginnen wir am Anfang. Als kleines Mädchen habe ich mir immer vorgestellt, ich würde in Christchurch in Neuseeland leben. Keine Ahnung warum. Ich wusste nichts über Neuseeland und fand vermutlich bloß den Klang des Namens schön, ebenso wie die Vorstellung, wie unfassbar weit weg von Deutschland dieses Christchurch liegt. Mehr als vier Jahrzehnte sind vergangen, als ich es endlich ins Land meiner Kinderträumereien schaffe.

Es ist Heiligabend, als mein Mann Martin und ich, von Bangkok kommend, in Auckland landen. Es gibt erste Berichte über ein neues Virus in China, doch wir ahnen nicht, wie sehr dieses Virus uns in den kommenden Monaten, ja sogar Jahren, noch beschäftigen wird, und wie viel Glück wir haben, dass wir diese Reise noch voll auskosten dürfen. Vom Hotel aus machen wir einen Spaziergang, besorgen in einem asiatischen Minimarkt rasch ein paar Lebensmittel, denn am ersten Weihnachtstag wollen wir, wie in Neuseeland üblich, am Strand picknicken.

Für unser Weihnachtspickpick haben wir uns den Piha Beach ausgesucht, der etwa eine halbe Autostunde von Auckland entfernt an der Westküste liegt. Schon von oben sieht der Strand spektakulär aus: schwarzgoldener Sand, der das Grün der Wiesen und Wälder noch intensiver leuchten lässt, mittendrin ein riesiger Felsen, der sich aus dem Meer erhebt. Wir breiten unsere Decke in den Dünen aus, machen unzählige Fotos und genießen das milde Wetter. Ich habe vergessen, mich einzucremen, aber der Himmel ist bedeckt, nur hin und wieder schaut die Sonne aus der dicken Wolkenschicht hervor, und ich bin ja schließlich von drei Wochen Thailand vorgebräunt. Kann also nichts passieren. Denke ich.

Erst als wir zurück im Hotel sind, merke ich, wie schlimm ich verbrannt bin.

Vor allem meine Stirn ist glühend rot. Und dabei habe ich es eigentlich gewusst: Wegen der Nähe zur Antarktis und wegen der reinen Luft ist die Sonneneinstrahlung in Neuseeland viel intensiver als in Europa, auch bei bedecktem Himmel. Ein Grund, weshalb hier fast alle Kinder am Strand Neoprenanzüge tragen. Manchmal reicht es nicht, etwas zu wissen, man muss es am eigenen Leib erfahren. Und das tue ich gründlich. Die Nacht verbringe ich mit nassen Handtüchern auf dem Gesicht, besonders gut schlafe ich trotzdem nicht. Zum Glück haben am 26. Dezember wieder alle Geschäfte geöffnet. Ich kaufe mir als erstes einen Sonnenhut, der zwar nicht besonders schick ist, aber mit seiner Krempe mein geschundenes Gesicht schützt.

Nach einem weiteren Tag in Auckland, an dem wir einen Bootsausflug nach Devonport machen, geht es auf die Coromandel Halbinsel. Wir sind begeistert von der wunderschönen Landschaft, der exotischen Vegetation mit Baumfarnen, Palmen und rot blühenden Pohutukawa-Bäumen sowie den spektakulären Sandstränden. Wir besuchen den Hot Water Beach mit seinen heißen Quellen unter dem Sand, doch bei den sommerlichen Temperaturen verspüren wir keinen Drang uns eine Mulde zu buddeln, um im heißen Wasser zu baden. Bei kühlerem Wetter ist das jedoch bestimmt ein tolles Erlebnis.

Es geht weiter zur Cathedral Cove, einer Bucht mit einer riesigen Höhle, die zwei Strandabschnitte miteinander verbindet. Auf dem Weg zum Hotel in Whitianga bekomme ich Appetit auf Hamburger, und tatsächlich gibt es welche im Frankie’s in der Albert Street, zusammen mit erfrischend kaltem Bier, vor einer Kulisse mit mehr als einem halben Dutzend Bildschirmen, auf denen Sport läuft, sowie live gespielter Country Musik. Bisher kam uns Neuseeland vor wie eine exotische Version von Großbritannien, heute Abend fühlt es sich eher so an, als wären wir in irgendeinem Kaff im mittleren Westen der USA gestrandet.

Von Whitianga aus geht es nach Rotorua im Herzen der Nordinsel. Dort haben wir für eine Woche eine Ferienwohnung gemietet, denn wir müssen ja auch arbeiten. Zwar fühlt es sich wie Urlaub an, aber wir sind auf Recherchereise für unsere nächsten Projekte. Und Abgabetermine drohen ebenfalls. Natürlich brechen wir nach getaner Arbeit auch von Rotorua aus zu Ausflügen auf, zum Beispiel nach Wai-o-Tapu, wo wir den brodelnden Untergrund Neuseelands bestaunen können. Sehr beeindruckend. Silvester schwimmen wir nachmittags im Badesee und fotografieren nach Mitternacht den grandiosesten Sternenhimmel, den wir je gesehen haben.

Am nächsten Morgen brechen wir zu einer zweitätigen Tour auf, vor uns liegt eins der beiden absoluten Highlights der Reise, die Wanderung Tongariro Alpine Crossing. Wir übernachten in einer Lodge im Nationalpark und starten am nächsten Morgen um fünf Uhr mit dem Pendelbus. Wir wollen für die knapp zwanzig Kilometer lange alpine Wanderung über einen aktiven Vulkan genug Zeit haben, vor allem fürs Fotografieren. Zudem hoffen wir, dass es so früh morgens noch etwas ruhiger ist auf der beliebten Route.

Da täuschen wir uns jedoch. Wir sind in zahlreicher Gesellschaft, als wir etwa eine halbe Stunde später losmarschieren. Trotzdem kommt Gänsehautfeeling auf, denn es ist ein dunstiger Morgen und über dem Mount Ngauruhoe, dem Schicksalsberg aus Herr der Ringe, geht eine blutrote Sonne auf. Die Gemeinschaft der Wanderer aus allen Ecken der Welt trägt sogar zur besonderen Stimmung bei. Man hilft sich gegenseitig aus, ob beim Fotografieren oder mit Blasenpflastern, bewundert gemeinsam die unglaublich faszinierende Vulkanlandschaft. Wir sind so hingerissen, dass wir uns zu viel Zeit nehmen und am Ende beim Abstieg doch noch fast rennen müssen, um den letzten Bus zu bekommen. Wir sind total erschöpft und begeistert zugleich, und eins steht fest: Diese Wanderung wollen wir unbedingt noch einmal machen.

Weitere Stationen auf der Nordinsel sind Hobbiton, das wirklich genauso aussieht wie im Film, der faszinierende Vulkan Taranaki und schließlich Wellington, eine Stadt, deren lässiges Flair uns auf Anhieb sympathisch ist. Knapp zwei Wochen sind wir nun schon in Neuseeland, Zeit, auf die Südinsel überzusetzen, wo uns nach einer Fahrt über den Queen Charlotte Drive entlang der Marlborough Sounds eine Ferienwohnung in Richmond erwartet. Ganz in der Nähe, nämlich im Abel Tasman Nationalpark, machen wir unsere zweitschönste Wanderung. Von einem Boot lassen wir uns zur Torrent Bay bringen und wandern von dort über den Abel Tasman Coast Track nach Marahau zurück, inklusive Picknick und Badepause am goldgelben Sandstrand.

Nach einer knappen Woche im Norden der Südinsel geht es an der Westküste entlang in Richtung Südalpen. Wir bestaunen die Pancake Rocks, wie Pfannkuchen geschichtete Felsklippen, die wegen zu vieler unvorsichtiger Touristen jedoch nur noch von gesicherten Wegen aus betrachtet werden dürfen, schlendern am Strand von Hokitika dem Sonnenuntergang entgegen und staunen über den ungezähmten Wanganui River. Überhaupt haben wir noch nie so viele Flüsse gesehen, die nicht in ein von Menschen gebautes Bett eingepfercht werden, sondern frei fließen dürfen. Ein kurzer Spaziergang vom Parkplatz aus führt uns zum Franz-Josef-Gletscher, der noch immer gewaltig wirkt, obwohl er in den vergangenen Jahren erschreckend geschrumpft ist.

Bei Haast verlassen wir die Küste und fahren landeinwärts, durchqueren den wunderschönen Mount Aspiring National Park mit seinen weiten grünen Tälern, Wasserfällen und schneebedeckten Gipfeln. Unser Ziel ist der Lake Wanaka mit dem berühmten Baum im Wasser. Traurigerweise gehören wir zu den letzten, die ihn unversehrt fotografieren dürfen. Wenige Wochen nach unserer Reise sägen Unbekannte einen der markanten tiefhängenden Äste ab, wohl aus Ärger über die vielen Besucher, die das kleine Naturwunder anzieht.

Wir bleiben zwei Nächte in einem malerisch gelegenen Hotel in Glenorchy am Lake Wakatipu, denn vom in der Nähe gelegenen Queenstown aus startet das zweite Superhighlight der Reise, ein Flug in einer Cessna über die Südalpen zum Milford Sound, dem berühmtesten der neuseeländischen Fjorde. Ich habe riesige Flugangst, aber zurückbleiben kommt für mich nicht infrage. Und wir haben Glück, nicht nur haben wir das Flugzeug samt Pilot Liam für uns allein, der Tag ist windstill und sonnig, der Flug ein Traum. Der Milford Sound ist noch viel gewaltiger als auf den Fotos, die wir gesehen haben. Auf dieser Reise voller spektakulärer Naturwunder gehen uns allmählich die Superlative aus. Auf dem Rückflug bekommen wir Gesellschaft, und leider fällt die Cessna gleich zu Anfang in ein fettes Luftloch. Von dem Moment an habe ich Todesangst, gegen die ich jedoch tapfer mit der Kamera ankämpfe. Einige meiner besten Fotos entstehen auf diesem gruseligen Flug. Zurück in Queenstown machen wir einen Spaziergang am Ufer des Lake Wakatipu, damit meine Nerven sich beruhigen, und trinken danach einen Prosecco am Hafen. Ein in jeder Hinsicht besonderer Tag, den ich so schnell nicht vergessen werde.

Von Glenorchy aus geht es über den Lindis Pass zu den Omarama Clay Cliffs, dem türkisblauen Lake Pukaki, hinter dem sich der Aoraki/ Mount Cook erhebt, der höchste Berg Neuseelands. Danach fahren wir weiter in Richtung Nordosten, vorbei am Lake Tekapo, wo asiatische Touristen in Scharen Lupinen fotografieren wie den Lavendel in der Provence. Ein letztes Mal genießen wir die unbeschreiblich eindrucksvolle Natur Neuseelands bei einem Picknick am Rakaia River, bevor unsere Reise in Christchurch, dem Ort meiner Kinderträume, ein wehmütiges Ende findet.

Die Schäden des Erdbebens von 2011 sind noch allgegenwärtig in der Stadt. Ganze Häuserblöcke fehlen, viele Gebäude sind mit Gerüsten abgestützt, eins sogar mit Schiffscontainern. Vor allem der Blick durch ein ehemaliges Schaufenster, hinter dem sich wohl einmal eine Buchhandlung befand, wie man an den auf dem Boden verstreuten Büchern erkennt, stimmt mich traurig. Doch die Menschen in Christchurch wirken heiter und optimistisch, und an unserem letzten Vormittag in Neuseeland sitzen wir mit unseren Laptops in einem Café, das genau an dem Tag neu eröffnet hat. So ist das Ende unseres Roadtrips zugleich ein Anfang, auch für uns, denn wir wollen auf jeden Fall wiederkommen. Schließlich haben wir gerade erst begonnen, dieses einzigartige Land zu entdecken.