Europa

Berge, Meer und leere Hotels

Eine Deutschlandreise im Mai 2020

Der Frühling 2020 ist anders als alle vorangegangenen, das neuartige Corona-Virus hält die Welt in Atem, die Menschen bleiben zu Hause, wenn es irgend geht, das ganze Land steht still. In dieser seltsamen Zeit begebe ich mich mit meinem Mann und Co-Autor Martin Conrath auf Recherchetour durch Deutschland. Der Abgabetermin sitzt uns im Nacken, wir können nicht länger warten. Bevor wir aufbrechen, versuchen wir herauszufinden, ob wir als recherchierende Autoren überall problemlos als Geschäftsreisende akzeptiert werden, denn noch sind touristische Reisen verboten, viele Hotels geschlossen. Wir telefonieren mit den zuständigen Behörden der einzelnen Bundesländer, aber eine verbindliche Antwort bekommen wir nicht.

Also machen wir uns einfach auf den Weg, versuchen unser Glück. Erste Station ist die Lüneburger Heide, einer der Hauptschauplätze unseres Romans. Im Hotel gibt man uns eine Ferienwohnung statt des gebuchten Doppelzimmers, da in Niedersachsen an Geschäftsreisende keine Doppelzimmer vermietet werden dürfen. Die Wohnung muss nach der einen Nacht, die wir dort verbringen, eine Woche lang leer bleiben. Wir besichtigen unsere Schauplätze, am Abend wollen wir noch im Pietzmoor Fotos machen, aber das ist gesperrt, auf den Bohlenwegen kann der Sicherheitsabstand von einem Meter fünfzig nicht eingehalten werden.

Am nächsten Tag besuchen wir ein Museum, dann geht es mit Zwischenstation am wunderschönen Weststrand von Darß auf der Halbinsel Fischland-Darß-Zingst weiter nach Rügen. Hier darf man uns ein Doppelzimmer vermieten, wir sind die einzigen Gäste im Hotel und werden beim Frühstück mit Köstlichkeiten verwöhnt. Unsere Recherche führt uns in den Nationalpark Jasmund, wo zum Glück alles geöffnet hat und sogar der Pendelbus fährt. Ein Fototermin zum Sonnenaufgang um kurz vor fünf an der Seebrücke von Sellin ist das Highlight des Aufenthalts.

Unsere nächste Station führt uns nach Sachsen,

wo die Regeln zur Eindämmung der Pandemie eher locker gehandhabt werden und wir abends im Fischlokal in Pirna das Virus fast vergessen – wären da nicht die Masken, die die Bedienungen tragen. Noch einmal stehen wir um vier Uhr auf, um die berühmte Bastei im Elbstandsteingebirge bei Sonnenaufgang abzulichten, bevor es weiter in Richtung Süden geht.

Über den bayrischen Wald, wo an diesem Sonntag auf dem Wanderweg zu den Rieslochfällen mehr Gedränge herrscht als am Rosenmontag in der Düsseldorfer Altstadt, geht es nach Berchtesgaden. Hier sind wir wieder die einzigen Gäste im Hotel. Frühstück wird nicht serviert, also bringen wir uns Picknick mit. Einen Regentag verbringen wir fast vollständig mit der Aufarbeitung der bisherigen Recherche auf dem Zimmer. Von dem deprimierenden Besuch im Dokumentationszentrum Obersalzberg am nächsten Tag erholen wir uns bei einem Spaziergang durch die Wimbachklamm, zu dem Zeitpunkt die einzige Klamm in Bayern, die für Besucher geöffnet ist.

Über Garmisch-Partenkirchen, wo wir einen Abstecher zum Eibsee machen und versuchen, einen Blick auf die in den Wolken versteckte Zugspitze zu erhaschen, reisen wir weiter nach Füssen. Mein Mann navigiert wie immer ein wenig spontan, sodass wir versehentlich die Route über Österreich nehmen. Eine rasche Recherche im Internet ergibt, dass die Corona-Bestimmungen gelockert wurden und die Durchreise inzwischen erlaubt ist, solange wir ein Reiseziel in Italien oder Deutschland nachweisen und keinen Zwischenstopp machen. Wir beschließen, das Risiko einzugehen. Entgegen unseren Befürchtungen werden wir nicht angehalten und können das Land problemlos durchfahren. Bei der Ausreise sehen wir jedoch auf der Gegenfahrbahn, wie der Verkehr zur Kontrolle über einen Parkplatz gelenkt wird. Glück gehabt.

Wir sind rechtzeitig am Ziel, um Neuschwanstein im Abendrot zu fotografieren. Die Nacht verbringen wir wieder als einzige Gäste in der Pension, leckeres Frühstück inklusive. Am nächsten Tag machen wir eine Wanderung von der Tegelbergstation um den Eibsee und zur Marienbrücke, von wo wir das Schloss noch einmal ablichten. Alle Geschäfte und Restaurants sind geschlossen, trotzdem sind viele Menschen bei dem herrlichen Wetter um Neuschwanstein herum unterwegs.

Von Füssen aus geht es zu unserem letzten Rechercheziel, das im Schwarzwald liegt. Am Nachmittag fotografieren wir den Wasserfall in Triberg, am Abend nehmen wir im einzigen geöffneten Lokal des Ortes ein deftiges Abendessen zu uns. Am nächsten Morgen machen wir uns auf die Heimreise ins Rheinland. Unterwegs fahren wir drei Rastplätze an, bis wir endlich einen finden, auf dem wir ein warmes Essen bekommen. Die Autobahn ist voll, wir quälen uns von Stau zu Stau, denn es ist der Freitag vor Pfingsten, ein langes Wochenende steht an. Vor allem aber haben ab heute wieder deutschlandweit die Hotels sowie viele Touristenattraktionen geöffnet. Während wir heimkehren, scheint der Rest der Welt aufzubrechen. Mit gemischten Gefühlen kommen wir zu Hause an. Es war spannend, aber auch gespenstisch, durch ein halbleeres Land zu reisen.