Welt

Licht, Farbe und die Kunst, sich abzugrenzen

Eine Reise ins Ich in Marrakesch

Es ist meine erste Reise nach Afrika, und ich bin allein unterwegs. Fünf Tage Marrakesch, bevor ich meine Freundin besuche, die in Andalusien lebt.

Ich habe ein Zimmer in einem Riad gebucht, mich über die Sehenswürdigkeiten informiert und meine brandneue Kamera dabei. Vor ein paar Wochen habe ich angefangen, mich ernsthaft mit der Fotografie zu beschäftigen, denn ich wollte unbedingt lernen, wie man Wasser so ablichtet, dass es magisch-milchig aussieht. Ein Anfängerkurs liegt hinter mir, auf dem Handy habe ich das E-Book eines Fotografen, das ich bereits im Flieger zu lesen begonnen habe.

Mein bestelltes Taxi wartete am Flughafen, doch dann stehe ich in der Gasse und weiß nicht weiter, denn auf mein Klopfen an der hölzernen Tür des Riads gibt es keine Reaktion und ich befürchte schon, mir eine andere Unterkunft suchen zu müssen. Schließlich taucht ein junger Mann auf und führt mich ins Innere, das einer Erzählung aus Tausendundeine Nacht entsprungen scheint. Ein malerischer Innenhof mit blühenden Pflanzen, gemütlichen Sitzecken mit farbenfrohen Kissen im Schatten und ein türkisfarbener Pool. Mein Zimmer ist ebenfalls orientalisch gemütlich eingerichtet, wenn auch etwas rustikal. An der Tür hängt lediglich ein Vorhängeschloss, das seinen Zweck jedoch erfüllt.

Am ersten Abend mache ich mich auf die Suche nach dem Herzen der Stadt, dem Djemaa el Fna, wie er zentrale Platz am Rand Medina, der Altstadt, heißt. Und ich laufe prompt erst mal in die falsche Richtung. Eigentlich habe ich eine extrem gute Orientierung, brauche kein Navi beim Fahren, sondern nur einen kurzen Blick auf die Karte, doch Marrakesch fordert mich heraus, und das ist erst der Anfang.

Ich mache Fotos vom Dach des Café Glacier,

wie es in Blogs und Reiseführern empfohlen wird, schlendere dann noch ein wenig durch die Altstadtgassen. Doch es ist Ramadan und die Sonne gerade untergegangen, weshalb die meisten Verkaufsstände bereits geschlossen sind. Nach einer leckeren Tajine in einem Restaurant kehre ich gesättigt und voller neuer Eindrücke in meinen Riad zurück.

Am nächsten Tag will ich die Medina erobern, doch sie erweist sich als fordernder Gegner. Überall grüßen die Händler freundlich, doch wehe ich grüße zurück, wie meine gute Erziehung es mir gebietet. Das wird sofort als Einstieg in ein Verkaufsgespräch gedeutet, aus dem es kaum ein Entrinnen gibt. Gleiches gilt für das Stehenbleiben und Betrachten der ausgestellten Waren. Es reicht nicht, nein zu sagen, und auch rasches Weggehen hilft selten. Ich werde bequatscht, bedrängt, belästigt und kann die schillernden Farben, die betörenden Düfte und das quirlige Chaos der Altstadt, auf das ich mich so gefreut habe, nicht wirklich genießen. Genervt beschließe ich, mir das Gerberviertel anzusehen, das etwas abseits liegt. Dabei werde ich von einem Typen verfolgt, der mir immer wieder seine Hilfe aufdrängen will. Irgendwann mache ich aus der Not eine Tugend und lasse mir für kleines Geld den Weg zeigen.

In der Gerberei wartet bereits der nächste Guide auf mich, der in gebrochenem Französisch beteuert, dass man ohne Begleitung hier nicht reindürfe. Also lasse ich mir von ihm alles zeigen und erklären und trotte am Ende brav in den Shop, wo ich allerdings nichts kaufe. Zurück im Zentrum der Altstadt suche ich die Färbereien, in der Hoffnung auf ein paar farbenfrohe Fotos. Kaum habe ich einen Hinterhof entdeckt, in dem bunte Wolle zum Trocknen hängt, werde ich auch schon von einem weiteren Fremdenführer in einen Verschlag gelotst, wo er mir demonstriert, wie die Farben angemischt werden. Danach will er mir Schals verkaufen. Als ich nein sage, verlangt er Geld für die Führung. Ich diskutiere eine Weile mit meinen paar Brocken Französisch mit ihm und drücke ihm schließlich den Gegenwert von etwa einem Euro in die Hand, mehr bin ich nicht bereit zu zahlen für eine ungewollte Vorführung. Er weist das Geld empört zurück, verlangt ein Vielfaches, aber ich bleibe hart. Entweder das, oder gar nichts. Er nimmt es schließlich, und ich eile davon.

Die ganzen Auseinandersetzungen mit Menschen, die mich für eine Milchkuh zu halten scheinen, die man beliebig melken darf, fordert ihren Tribut. Ich bin mit den Nerven am Ende, flüchte in meinen Riad, wo ich paar Runden im Pool drehe und im Halbschatten etwas in meinem Fotobuch lese. Abends gönne ich mir ein besonders gutes Essen im Nomad, einem angesagten Restaurant, wo ich zwar eine ganze Weile auf einen freien Tisch warten muss, dann aber die köstlichen Speisen umso mehr genieße.

Am nächsten Morgen beschließe ich, mich von dieser Stadt nicht unterkriegen zu lassen. Und da die Fotos bei den Färbern dunkel und verwackelt geworden sind, kehre ich dorthin zurück. Seltsamerweise belästigt mich diesmal niemand. Ich scheine eine Entschlossenheit auszustrahlen, die respektiert wird, mache in aller Ruhe meine Fotos. Als ich fertig bin, begegnet mir der junge Mann von Vortag und grinst mich an. Ich grinse zurück. Ich habe die Spielregeln gelernt. Von nun an genieße ich meinen Aufenthalt. Ich übe das Fotografieren von Wasser an den zahlreichen Brunnen, besuche die Nekropole im Kasbah-Viertel mit ihrer beeindruckenden Architektur, den jüdischen Friedhof mit seiner ganz speziellen Atmosphäre, die maurischen Paläste Dar Si Said und Palais de la Bahia und bewundere das Blau und die exotischen Pflanzen im Jardin Majorelle, dem Garten, der in den 1920er Jahren von dem französischen Maler Jacques Majorelle angelegt und in den 1980er Jahren von dem Modeschöpfer Yves Saint Laurent zusammen mit seinem Lebensgefährten zu neuem Leben erweckt wurde.

Dazwischen genieße ich das wunderbare Essen, trinke Tee und jede Menge frisch gepressten Orangensaft. Der Salat mit Ziegenkäse, den ich in einem vegetarischen Café am Place des Ferblantiers koste, ist einer der besten, die ich je gegessen habe. Und ich habe schon sehr viele Salate mit Ziegenkäse gegessen.

Ich schaue mir die Auslagen in den Geschäften so lange an, wie ich Lust habe, ohne mich bedrängen zu lassen. Ich grüße sogar die Händler zurück und schaffte es, ihr hartnäckiges Werben mit einem souveränen Lächeln abzuweisen. Und wenn ich etwas kaufen möchte, feilsche ich skrupellos und trotzdem vollkommen gelassen um einen für mich angemessenen Preis.Viel zu früh geht die Zeit in dieser lebendigen, überbordenden Stadt zu Ende und der Tag der Abreise ist da. Ganz entspannt trinke ich meinen letzten Minztee im Zeitoun Café in der Kasbah und verhandle danach in aller Ruhe mit einem Taxifahrer den Preis für die Fahrt zum Flughafen. Marrakesch hat mich etwas über fremde Länder und Bräuche gelehrt, aber vor allem etwas über mich selbst. Ich habe mich auf das Unbekannte eingelassen, es hat mich zuerst erschreckt, jedoch dann auf wunderbare Weise bereichert.