Mit dem Fahrrad durch die Ruinen von Angkor
Beinahe hätten wir es nicht rechtzeitig geschafft. Der Minibus, der uns von einer Paketstation im kambodschanischen Nirgendwo nach Siem Reap bringen soll, ist bis auf den letzten Platz besetzt und nimmt uns nicht mit, obwohl wir Tickets im Internet gebucht haben. Die Mitarbeiter dort sprechen kein Wort Englisch, aber sie signalisieren uns, dass sie eine Lösung finden werden. Wir glauben nicht so recht daran, buchen online Fahrkarten für den nächsten Bus, der jedoch erst in einigen Stunden kommen soll. Und ob der dann wirklich Plätze für uns hat, steht in den Sternen.
Irgendwann taucht ein PKW älteren Baujahres auf, und die Männer geben uns zu verstehen, dass das unsere Mitfahrgelegenheit ist. Der Wagen ist jedoch bereits voll. Vater, Mutter und ihre zwei jugendlichen Töchter, sowie ein Mann, der offensichtlich ein zahlender Mitreisender ist. Doch angeblich stellt das kein Problem dar, und tatsächlich steigen die Mädchen vorne bei ihren Eltern ein, und für die mehrstündige Fahrt sitzen nun jeweils zwei Personen auf Fahrer- und Beifahrersitz.
Ganz geheuer ist uns dieses Arrangement nicht, aber da wir keine Ahnung haben, wie wir sonst nach Siem Reap gelangen sollen, nehmen wir es gelassen. Tatsächlich kommen wir am Nachmittag heil in der Stadt an, die als Basisstation für den Besuch der Ruinen von Angkor dient. Die Familie setzt uns an einer Kreuzung ab, wo wir ein Tuk-Tuk anhalten, das uns zum Hotel bringt. Der Fahrer bietet auch gleich an, uns später noch zum Ticketschalter zu bringen, denn ab 16:30 Uhr kann man Eintrittskarten für den nächsten Tag kaufen, die bereits am Vorabend gültig sind.
Wir überlegen nicht lange, checken ein und halten kurz darauf unsere Tickets in den Händen. Da dies die erste richtige Reisesaison nach der Corona Pandemie ist, gibt es bis zum Jahresende ein besonderes Angebot: Mit dem 3-Tages-Ticket darf man fünf Tage lang die Tempel besuchen. Und am nächsten Tag ist Silvester, es ist also die letzte Chance für dieses besondere Schnäppchen. Immer wieder, wenn wir in den folgenden Tagen an einem Tempel unsere Karten vorzeigen, hören wir ein fröhliches „Oh, you got lucky ticket!“
Zum Sonnenuntergang bringt uns unser Fahrer zum Pre Rup Tempel, und wir genießen den magischen Moment, von der Spitze der Ruine des mehr als tausend Jahre alten Bauwerks die Sonne hinter den Wipfeln des Dschungels untergehen zu sehen.
Zurück in der Stadt buchen wir bei einem Fahrradverleih zwei Räder samt Abholservice für den nächsten Morgen, bevor wir den Tag mit einem leckeren Essen ausklingen lassen.
Trotz der vielen anderen Besucher können wir uns der Magie des Ortes nicht entziehen
Nach einer ruhigen Nacht werden wir am nächsten Vormittag mit unseren gemieteten Rädern zum berühmtesten Bauwerk des archäologischen Parks gebracht: Angkor Wat. Die imposante Anlage mit den fünf lotusblütenförmigen Türmen, die auch auf der Nationalflagge Kambodschas abgebildet ist, wurde ursprünglich als hinduistischer Tempel errichtet und später in einen buddhistischen umgewandelt. Sie ist nicht nur das Wahrzeichen der gesamten archäologischen Stätte, sondern zugleich der größte Tempelkomplex der Welt. Trotz der vielen anderen Besucher können wir uns der Magie des Ortes nicht entziehen. Bis zum Mittag erkunden wir das Gebäude, klettern die steilen Stufen hinauf, bestaunen die verblassten Wandmalereien, sind beeindruckt von der Baukunst, aber auch davon, wie frei wir uns auf dem Gelände bewegen dürfen. Kaum etwas ist reguliert oder abgesperrt.
Nach einem Imbiss in einer Garküche radeln wir zum Bayon Tempel weiter, müssen dabei darauf achten, die Affen nicht zu überfahren, die uns vor die Räder springen.
Der Bayon ist Teil der ehemaligen Stadt Angkor Thom, die von einem Wassergraben umgeben ist und durch eins von fünf wunderschönen Steintoren betreten werden kann. Der Tempel zeichnet sich durch meterhohe in Stein gemeißelte Gesichter aus, ähnlich denen, die auch über den Stadttoren zu finden sind, und durch eine Art Labyrinth im Inneren, in dem man sich verlieren kann. Das alte Bauwerk verzaubert uns mit seiner ganz besonderen Ausstrahlung und wird uns als einer unserer Lieblingstempel in Erinnerung bleiben.
Nahe der sogenannten Elefantenterrasse trinken wir einen Eiskaffee, bevor wir weiterradeln zum Ta Prohm. Hier ist das Gedränge groß, denn der halb verfallene Tempel diente als Kulisse für einen populären Actionfilm, und alle wollen ein Selfie vor der berühmten Würgefeige machen, deren Wurzeln das Mauerwerk umschlingen. Doch der hintere Teil des Tempels ist nahezu leer und wir können die Stille genießen.
Als wir zu unseren Rädern zurückkehren, stellen wir fest, dass Martin einen platten Reifen hat. Flickzeug haben wir natürlich nicht dabei, und es ist nicht mehr lange bis zur vereinbarten Abholzeit. Also fahre ich allein im Abendlicht die neun Kilometer zum Treffpunkt – eine wunderschöne Tour, die ich gern mit Martin zusammen gemacht hätte – und kehre dann mit unserem Fahrer zu ihm zurück.
Nach einem genialen Abendessen in einem Restaurant gleich neben unserem Hotel, gehen wir früh ins Bett. Es ist ja Silvester, und wir wollen am Neujahrsmorgen die Sonne über Angkor Wat aufgehen sehen.
Um 4:20 Uhr stehen wir wieder auf, um 5:00 Uhr sitzen wir im Tuk-Tuk. Wir sind bei Weitem nicht die einzigen, die andächtig im Morgengrauen vor dem See stehen, in dem sich die Konturen des berühmten Tempels spiegeln. Aber es ist längst nicht so voll wie befürchtet, und um 6:00 Uhr – Mittnacht deutscher Zeit – stoßen wir mit Tonic Water auf das neue Jahr an, während die Sonne den Himmel über den fünf Türmen in rosa Licht taucht. Als sie aufgegangen ist, machen wir einen Spaziergang um den Tempel, bevor wir das aus dem Hotel mitgebrachte Frühstück verspeisen. Danach bringt uns unser Fahrer zum malerisch verfallenen Ta Som Tempel und zum Eastern Mebon, wo wir die wunderschönen Elefantenstatuen bestaunen. Es fasziniert uns, wie unterschiedlich die Tempel sind. Keiner gleicht dem anderen, jedem wohnt ein ganz eigener Zauber inne.
Wir machen noch einem Abstecher zum riesigen Banteay Kdei, bevor wir mittags ins Hotel zurückkehren. Wir sind müde von der kurzen Nacht und den vielen Eindrücken. Nach einem Bad im Pool und einer Pause im Zimmer lassen wir den Tag mit einem leckeren Essen und einer Massage ausklingen.
Da es mit dem Radverleih in der Stadt nicht so gut geklappt hat und die Räder zudem ziemlich klapprig waren, probieren wir es am nächsten Tag mit Mountainbikes, die wir ganz in der Nähe vom Eingang zur Tempelanlage mieten. Und die sind richtig gut. Zwei Tage lang erkunden wir den mehr als 160 Hektar großen archäologischen Park, fahren über Straßen und holprige Dschungelpfade zu den entlegensten Tempeln, in denen wir oft ganz allein sind. Wir bestaunen von der üppigen Vegetation überwucherte Steine, die Überreste einer uralten Bibliothek und eine versteckte Kultstätte inmitten in einer riesigen Anlage. Zwischendurch probieren wir super leckere Fruchtshakes und feine Snacks an den Imbissbuden. Am letzten Abend radeln wir zum Sonnenuntergang noch einmal zum Angkor Wat Tempel und bleiben, bis wir zum Gehen aufgefordert werden, denn bei Einbruch der Dunkelheit müssen alle Besucher das Gelände verlassen.
Erfüllt von faszinierenden Eindrücken, spannenden Erlebnissen und magischen Momenten verbringen wir eine letzte Nacht in Siem Reap, bevor es am nächsten Morgen mit dem Bus nach Thailand geht. Obwohl wir uns fünf Tage Zeit genommen haben, um den Park zu erkunden, haben wir nur einen Bruchteil der über tausend Tempel gesehen, die über das riesige Gelände verteilt sind. Nicht nur deshalb fällt uns der Abschied schwer.
Doch wir verlassen diesen wunderbaren Ort in der Gewissheit, dass wir einen Funken der Magie von Angkor in unseren Herzen mitnehmen – und dass wir eines Tages wiederkommen werden.